Geschichte 1938 bis 1945

 

Das Urgeschichtliche Institut der Universität Wien während der Nazizeit

von Otto H. Urban

Die Teilnahme an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Belastete Wissenschaft - Forschung und Lehre in den Jahren 1938 bis 1945“, die am 23. April 1997 im Museum moderner Kunst vom Club der Universität Wien stattfand, bot den Anlaß, sich etwas genauer mit den Personen, die während dieser Jahre in Wien wirkten, auseinanderzusetzen. Es zeigte sich bald, daß in den bisher vorliegenden Werken und Artikeln kaum die persönliche Herkunft, Weltanschauung und politische Tätigkeit der Hauptakteure dieser Zeit Berücksichtigung fanden, sondern neben einer schematischen Aufzählung der Habilitierungen und Ernennungen „lediglich eine Laudation auf F. Hancar, der ‘die im Keller untergebrachte Bibliothek ... vor dem Zugriff der Besatzungsmacht’ [...] gerettet hatte“ (PUSMAN 1991, 283) erfolgte.

Drei Männer prägten die Urgeschichtsforschung in Wien während dieser Jahre: Oswald Menghin, Vorstand bzw. Direktor des Urgeschichtlichen Institutes, der bereits 1918 dem verstorbenen Moritz Hoernes auf dem Lehrstuhl folgte sowie Eduard Beninger, der Leiter bzw. Direktor der Prähistorischen Abteilung im Naturhistorischen Museum und Kurt Willvonseder, der Leiter der Abteilung für Bodenaltertümer, der Vorgängerorganisation der heutigen Abteilung für Bodendenkmale im Bundesdenkmalamt.

Oswald Menghin, aus einer Tiroler Familie stammend, kam 1906 zum Studium nach Wien, trat der C.V.-Verbindung Rudolfina bei und hatte engen Kontakt mit R. v. Kralik. Zumindest von 1919 bis 1926 war Menghin auch Mitglied der „Deutschen Gemeinschaft“, in der er bereits A. Seyß-Inquart kennenlernte. Menghin gilt als nationalkatholisch; einige seiner Werke, wie „Geist und Blut“ (besonders die Kapitel „Über Volkstum“ und „Die wissenschaftlichen Grundlagen der Judenfrage“) aus dem Jahre 1933 erscheinen rassistisch und antisemitisch. Daß dieses Buch 1958 „als stets wieder gern geöffnete Quelle der Anregung und Besinnung“ und 1993 als „vom Autor sachlich, wissenschaftlich und objektiv geschrieben“ bezeichnet wird, erstaunt wenig, macht aber betroffen. Zwei Jahre nach Erscheinung des Buches wird Menghin für das Studienjahr 1935/36 als Rektor der Universität Wien gewählt; 1936 erfolgte auch (nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen) die Wahl zum ordentlichen Mitglied der Österr. Akademie der Wissenschaften. Vom Juli 1936 bis Juni 1937 war er weiters Mitglied des Führerrates der Wiener Vaterländischen Front. In seinem Ansuchen um NSDAP-Mitgliedschaft beschrieb er diese Jahre folgendermaßen: „1935 bis 1936 als Rektor der Universität und nachher unermüdliche Interventionstätigkeit für die gemaßregelten Nationalsozialisten (nicht nur Studierender, sondern auch anderer), Jänner 1937 führendes Eintreten bei der Unterschriftensammlung für den geplanten Verein der nationalen Opposition, Mitglied des Siebener-Ausschußes, ständige politische Arbeit für die NSDAP [...]“ (ÖStA). „Dieser Antrag weist die eigenhändige Unterschrift des damaligen Gauleiters Globotschnig auf, der bestätigt, daß Menghin sich den Anforderungen der NSDAP sowie deren Befehlen vollkommen zur Verfügung gestellt habe und seine Angaben richtig seien“ (ÖStA). Am 11. März 1938 wurde er Unterrichtsminister im sog. „Anschlußkabinett“ von Seyß-Inquart. In seine bis Ende Mai laufende Amtszeit fällt nicht nur das Anschlußgesetz, sondern auch die sog. „Säuberung“ der Universität. So wurde für jüdische Studierende ein numerus clausus von 2% eingeführt und rund 40% des Lehrkörpers wegen „jüdischer Abstammung“ bzw. aus „politischen Gründen“ entlassen. Auch R. Pittioni mußte damals seine venia legendi zurücklegen. Menghin hatte natürlich nicht selbst diese „Säuberung“ durchgeführt doch trägt er die politische Verantwortung für diese Vorgänge und kann daher durchaus als Beispiel für einen „willfährigen Wissenschafter“ gelten, dessen Gesinnung es zuließ, sich den Nazis zur Verfügung zu stellen. Im August 1938 kehrte Menghin wieder an die Universität zurück. Nach dem Krieg kam er als Mitglied der Seyß-Inquart-Regierung auf die „1. Kriegsverbrecherliste“. Er wurde jedoch nicht angeklagt, sondern kam in amerikanische Internierungslager, wo er Vorträge hielt. 1948 gelang ihm die Überfahrt nach Argentinien, wo er ao. Professor in Buenos Aires wurde. 1956 wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt, 1958 erhielt er eine Festschrift und 1959 wurde er korrespondierendes Mitglied der Österr. Akademie der Wissenschaften. Er starb hochbetagt 1973 in Argentinien. Sein Hauptwerk, „Weltgeschichte der Steinzeit“ ist nach dem Zusammenbruch der Kulturkreislehre von Pater W. Schmidt heute in vielem überholt. Von bleibendem Wert sind die zahlreichen archäologischen Untersuchungen und Materialvorlagen, insbesondere zur Urgeschichte Tirols und Vorarlbergs, aber auch zu anderen Themen, wie beispielsweise den römerzeitlichen Hügelgräbern.

Eduard Beninger war sog. „Illegaler“ und Landesleiter im Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte, der von H. Reinerth geleitet worden ist und dem Amt Rosenberg unterstand. Er wurde 1940 zum „Dozenten für germanische Ur- und Frühgeschichte“ ernannt, hielt aber niemals eine Vorlesung, da er im gleichen Jahr bereits zur Wehrkreiskommandatur Wien als Hauptmann einberufen worden ist. Er war Adjutant des damaligen Stadthauptmannes von Wien, General Stümpfl, und seit 1944 Ortskommandant von Michalovce in der Slowakei. Nach dem Krieg wurde er wegen „Verletzung der Menschenwürde“ zu drei Jahren Haft verurteilt; 1957 wurde ihm wieder sein Doktorgrad zugestanden und seit 1958 bezog er auch eine Pension. Er starb 1963 in Wien. Der Großteil seiner Hauptwerke ist den Germanen gewidmet. In dem 1939 erschienenen Beitrag „Vorstellungen über die deutsche Vorgeschichtsforschung an den Volksbildungsstätten“ (MAG 69, 1939, [2-6]) zeigt er, im Unterschied zu seinen archäologischen Fundstudien, deutlich seine weltanschaulichen und germanophilen Ansichten.

Kurt Willvonseder ist in diesem Dreigestirn trotz seiner nationalkatholischen Gesinnung der wohl politisch am wenigsten engagierteste. Er habilitierte sich bereits 1937 und hielt regelmäßig bis zu seiner Einberufung 1943 Vorlesungen. Willvonseder trat 1938 der SS bei, um, wie er 1948 schrieb, „mich einer Auswirkung“ des Amtes Rosenberg „und damit auch des Reichsamtsleiters Prof. Reinerth [...] in meiner Eigenschaft als Bodendenkmalpfleger in führender Stellung [...] zu widersetzen.“ Zu Kriegsende war Willvonseder als SS-Obersturmführer „politisch belastet“. Er wurde vom Bundespräsidenten begnadigt und konnte so 1954 zum Direktor des Salzburger Museums Carolinum Augusteum bestellt werden. Er habilitierte sich erneut und lehrte an der Universität Salzburg. 1967, ein Jahr vor seinem Tode, erhielt er den Titel außerordentlicher Universitätsprofessor.

Neben Beninger und Willvonseder waren noch F. Hancar und Chr. Pescheck Dozenten am Urgeschichtlichen Institut in Wien. Die nur kurzzeitig 1938 bzw. 1939 bei Menghin tätigen Assistenten O. Seewald und S. Gutenbrunner waren beide „Illegale“. Nach dem Kriege kehrte R. Pittioni nach Wien zurück und übernahm den Lehrstuhl von Menghin. Hancar las daneben bis 1967; Pescheck verließ 1945 Wien und lehrte ab 1946 in Göttingen, später in Würzburg.

Gehen wir nochmals zurück in die Nazizeit und versuchen wir die für die Zeit bekannte und kennzeichnende Auseinandersetzung zwischen dem Amt Rosenberg mit dem Reichsbund für Deutsche Vorzeit (RDV) unter der Leitung von H. Reinerth einerseits und H. Himmlers „Ahnenerbe“ anderseits zu fassen, so können unschwer E. Beninger ebenso wie der an der Universität Graz lehrende W. Schmid (der sich im Übrigen in seinen frühen Publikationen Šmid schrieb) dem RDV und Kurt Willvonseder dem „Ahnenerbe“ zugerechnet werden. Die Stellung Menghins ist unklar, durch seine starke Bindung an W. Schmidt und H. Koppers dürfte er mit Ausnahme persönlicher Beziehungen (so war er laut eines Berichtes des zuständigen Ortsgruppenleiters aus dem Jahre 1941 mit Gauleiter H. Jury „eng befreundet“) kaum mehr Einfluß innerhalb der NSDAP besessen haben. Mit seiner extrem nationalkatholischen Weltanschauung war er, wie in einem Beschluß des Gaugerichtes Wien aus dem September 1939 festgestellt wurde: „Der Mann zwischen den Fronten“ (DÖW).

Folgende Punkte bleiben festzuhalten: Der Großteil der an der Universität Wien Ur- und Frühgeschichte in der Ersten Republik, dem Ständestaat bzw. der Nazizeit lehrenden Männer waren nationalkatholisch. Bei einigen, durchaus prominenten Vertretern finden sich Hinweise auf rassistische Weltanschauungen, andere (wenige) dagegen können der katholischen Weltanschauung zugerechnet werden. Sozialisten bzw. sozialistische Ideen fehlen weitgehend, so finden sich auch kaum Ansätze für evolutionistische oder soziologische Überlegungen - sie werden vielmehr deutlich bekämpft. Dies soll nicht wertend verstanden werden, sondern lediglich zeigen, mit welcher „Brille“ bzw. „Filter“ die Werke dieser „Wiener Schule“ gelesen werden müssen.

 

Literatur:

  • Arnold, B., The Past as Propagande: Totalitarian Archaeology in Nazi Germany. In: R. Preucel u. I. Hodder (eds.), Contemporary Archaeology in Theory, Social Archaeology, Oxford 1996, 549-569 (mit einigen falschen Angaben zu Menghin, so war er weder Minister bis 1945 noch hochrangiges NSDAP-Mitglied).
  • Bollmus, E., Das Amt Rosenberg und seine Gegner: zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970.
  • Botz, G., Nationalsozialismus in Wien, Buchloe 1988.
  • Felgenhauer, F., Zur Geschichte des Faches „Urgeschichte“ an der Universität Wien. In: Studien zur Geschichte der Universität 3, Graz-Köln 1965, 7-27.
  • Geehr, R. S., Oswald Menghin, ein Vertreter der katholischen Nationalen. In: Geistiges Leben im Österreich der Ersten Republik, Wiss. Komm. z. Erforschg. d. Gesch. d. Rep. Österr. 10, Wien 1986, 9-24.
  • Haag, J., Marginal Men and the Dream of the Reich: Eight Austrian National-Catholic Intellectuals 1918-1938. In: Who where the Fascits, Bergen-Oslo-Tromsö 1980, 239-248.
  • Heiß, G. et al. (Hg.), Willfährige Wissenschaft, Die Universität Wien 1938-1945, Österr. Texte z. Gesellschaftskritik 43, Wien 1989.
  • Jakubovitsch, H., Die Forschungsgeschichte des Faches Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien und Innsbruck im Überblick, Diss. Univ. Wien 1993.
  • Pusman, K., Die Wiener Anthropologische Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Diss. Univ. Wien 1991.
  • Rosar, W., Deutsche Gemeinschaft, Seyss-Inquart und der Anschluß, Wien 1971.
  • Urban, O. H., „Er war der Mann zwischen den Fronten“, Oswald Menghin und das Urgeschichtliche Institut der Universität Wien während der Nazizeit, ArchA 80, 1996 (1997), 1-24.